Fahrzeug des Monats
Dezember 2024
Motorspritzenwagen („Klein-Motoren-Spritze“)
ehemaliges Einsatzfahrzeug der Betriebsfeuerwehr (BtFW) Schachenmayr,
Salach/Göppingen (BW)
heute im Besitz des Magirus Iveco Museums e.V., Neu-Ulm
Technische Daten
Fahrgestell (Hersteller) |
Magirus Ulm/Donau |
Typ |
Magirus M 10 |
Motor |
Zweizylinder-Zweitakt-Reihenmotor |
Hubraum |
594 ccm |
Leistung |
15 PS (11 kW) |
Getriebe/Kupplung |
Dreiganggetriebe |
Antriebsart/Radformel |
Hinterradantrieb |
Bremsanlage |
Vierrad-Trommelbremse |
Höchstgeschwindigkeit |
50 km/h |
Kraftstofftank |
15 l |
Radstand |
2,40 m |
zul. Gesamtgewicht |
1,3 t (Nutzlast: 1 t) |
Ausrüstung |
Feuerlöschpumpe Tragkraftspritze (Typ Magirus Goliath) 2 x C-Schlauchhaspel |
Besatzung |
1/1 (Trupp) |
Indienststellung |
1934 |
Anschaffungskosten |
rd. 2.150 RM (Pritschenwagen ohne Beladung) |
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Es gab den „M 10“ als Pritschen- und Kastenwagen. Für die Feuerwehr wurden außerdem die Versionen Motorspritzen- und Drehleiterwagen (Arbeitshöhe: 12 Meter) gefertigt. Von 1933 bis 1937 lieferte Magirus insgesamt 1.020 Exemplare aus, die hauptsächlich im Stadtverkehr und für Zubringerdienste eingesetzt wurden. Der Neupreis für den Pritschenwagen lag zu Beginn der Produktion bei 2.150 Reichsmark. Heute wird das „Wägelchen“ von manchem Betrachter belächelt. Zur damaligen Zeit war die Konstruktion allerdings revolutionär, weil der Fahrersitz, anders als früher üblich, über der Vorderachse lag. Heutzutage zählt die sogenannte Frontlenkerbauweise bei Nutzfahrzeugen zum Standard.
Der „M 10“ ist das erste Feuerwehrautomobil von Magirus in Frontlenkerbauweise. Für den Vortrieb sorgt ein Zweitaktmotor. (Foto: J. Vogelsang)
15 PS aus 594 Kubikzentimern
Im Jahr 1934 erhielten die Schachenmayr-Werke in Salach (Landkreis Göppingen/Baden-Württemberg), die mit rund 3.000 Mitarbeitern Strickgarne und Wolle produzierten, eine „Klein-Motoren-Spritze“ vom Typ Magirus „M 10“. Das einstige Fahrzeug der Betriebsfeuerwehr ist erhalten geblieben und wird heute von den Mitgliedern des Magirus Iveco Museums e.V. in Schuss gehalten. Ausgestellt ist es im Auslieferungszentrum der Magirus GmbH in Ulm/Donau.
Der Rahmen des Motorspritzenwagens besteht aus längs fortlaufenden Pressstahlträgern mit eingeschweißten Querverstrebungen. Er ist für eine Nutzlast von einer Tonne ausgelegt. Das Fahrzeug hat eine geschlossene Fahrerkabine, die zwei Feuerwehrleuten Platz bietet. Es gibt allerdings nur eine Tür - die befindet sich auf der Beifahrerseite und ist (als sogenannte Selbstmördertür) hinten angeschlagen. Zwei weitere behelfsmäßige Sitzplätze befinden sich quer zur Fahrtrichtung auf der Ladefläche direkt hinter der Kabine.
Die begrenzten Platzverhältnisse stellten die Konstrukteure vor Probleme. Sie konnten nicht auf einen sperrigen Motor aus dem Magirus-Regal zurückgreifen. Stattdessen lieferten die ILO-Motorenwerke aus Pinneberg/Holstein, einst die größten Zweitaktmotorenwerke Deutschlands, den Antrieb. Im historischen Feuerwehr-M-10 werkelt ein Zweizylinder-Zweitakt-Reihenmotor, der aus 594 Kubikzentimetern Hubraum 15 PS Leistung schöpft. Über ein Dreiganggetriebe (Typ Hurth) mit Einscheiben-Trockenkupplung und die Kardanwelle wird die Kraft auf die Hinterräder übertragen. Das Kleinlöschfahrzeug beschleunigt so immerhin bis auf Tempo 50. Da die Maschine nach dem Zweitaktprinzip arbeitet, erfolgt die Schmierung selbsttätig durch das Brennstoffölgemisch. Turbinenartig geformte Schaufeln auf dem Schwungrad des Motors liefern die Kühlluft, die von entsprechend geformten Blechen zu den Zylindern geleitet wird. Der Sicherheitsgedanke war zur damaligen Zeit im Automobilbau noch wenig ausgeprägt. So liegt der 15 Liter fassende Kraftstofftank oberhalb des Motors, direkt unter dem Fahrersitz. Durch das natürliche Gefälle fließt das Gemisch zum Graetzin-Vergaser. Die Vierrad-Trommelbremse (System Perrot) wird mechanisch über Pedal und Seilzüge betätigt, während die Handbremse nur auf die Hinterräder wirkt.
Das Kleinlöschfahrzeug verfügt über eine fest eingebaute Heckpumpe, die direkt vom Fahrzeugmotor angetrieben wird. Die Förderleistung beträgt rund 500 Liter pro Minute bei sechs Bar Ausgangsdruck. Zur weiteren Ausrüstung zählen eine Tragkraftspritze (Typ Magirus Goliath), die seitlich auf einem Schlitten gelagert ist, Kübelspritze, zwei C-Schlauchhaspeln und diverse wasserführende Armaturen. Auf dem Dach werden zudem Saugschläuche und eine tragbare Leiter mitgeführt.
Die fest eingebaute Pumpe am Heck wird vom Fahrzeugmotor angetrieben.
(Foto: J. Vogelsang)
Eine Tragkraftspritze (Typ Magirus Goliath) zählt zur feuerwehrtechnischen Beladung.
(Foto: J. Vogelsang)
Bis in alle Einzelteile zerlegt
Das Unternehmen Schachenmayr hatte dem Niedergang der deutschen Textilindustrie nichts entgegenzusetzen und ging in den 1980er Jahren in die Insolvenz. Der „M 10“ der einstigen Betriebsfeuerwehr wurde zunächst bei einer Mercedes-Vertretung eingelagert. Bei der Donzdorfer Fastnacht wurde das Auto später zweckentfremdet als Plattform- und „Raketenwagen“ eingesetzt. Anfang der 2000er Jahre verhinderten einige Mitarbeiter der Iveco Magirus AG Schlimmeres. Sie hatten gerade erst einen Verein gegründet, um historische Lastwagen in betriebsfähigem Zustand zu erhalten. Für den zwischenzeitlich historischen Motorspritzenwagen ging es zurück ins Magiruswerk nach Ulm, wo der Verein von der Geschäftsführung eine kleine Werkstatt zur Verfügung gestellt bekam. Die Mitglieder zerlegten den ramponierten „M 10“ bis auf die letzte Schraube. Die Bleche wurden gelöst und die Fahrerkabine quasi neu aufgebaut. Pumpe, Motor, Getriebe und Bremsen unterzogen die „Oldtimer-Freunde“ einer Generalüberholung. Schließlich bekam das Auto noch neue Reifen, die der Verein aus England beschaffte. Auf dem Magirus-Testgelände ging es nach Abschluss der monatelangen Restaurierungsarbeiten auf Probefahrt: Und der Zweitakter knatterte wie am ersten Tag über die Piste …
Die Fahrerkabine bietet Platz für zwei Feuerwehrleute - verfügt aber lediglich über eine Tür. Weitere Sitzplätze befinden sich auf der Ladefläche. (Foto: J. Vogelsang)
Der Motorspritzenwagen war einst bei der Betriebsfeuerwehr Schachenmayr (Salach/Göppingen/BW) im Einsatz. (Foto: J. Vogelsang)
Wechselvolle Magirus-Geschichte
Mitte der 1930er Jahre übernimmt die Humboldt-Deutz AG aus Köln (heute Deutz AG) den Fahrzeug- und Feuerwehrgerätehersteller an der Donau. In der Nachkriegszeit steigt Magirus-Deutz zum zweitgrößten Nutzfahrzeughersteller in Deutschland auf. In den Hinterachsen der LKW und Busse befinden sich zumeist Planetengetriebe. Davon lässt sich die Marketingabteilung offensichtlich inspirieren, sodass während der Aufbaujahre unter anderem Lastwagen mit den Typenbezeichnungen Mercur, Saturn und Uranus vom Band laufen. Die „Rundhauber“ und „Eckhauber“ aus Ulm mit den luftgekühlten Deutz-Dieselmotoren gelten als unverwüstlich. Sie gehören zum Straßenbild jener Zeit und leisten bei der Feuerwehr ebenfalls zuverlässig ihre Dienste. Schon Anfang der 1950er Jahre stellt Magirus mit der DL 52 plus 2 die seinerzeit leistungsstärkste Drehleiter der Welt vor. Sie erreicht eine Höhe von 54 Metern und ist mit einem Fahrstuhl ausgestattet. Das Unternehmen produziert die ersten Tragkraftspritzen in Serie, die mit luftgekühlten VW-Industriemotoren ausgerüstet sind.
Anfang der 1970er Jahre gerät der LKW-, Omnibus- und Feuerwehrgerätehersteller in die Krise und der italienische Autohersteller Fiat wird Eigentümer. Magirus-Deutz heißt nun Iveco-Magirus (Iveco als Abkürzung für Industrial Vehicles Corporation). Im Jahr 2012 kommt es erneut zu tiefgreifenden Veränderungen. Iveco verlagert die Produktion von schweren Lastwagen nach Madrid/Spanien. Im August läuft in Ulm die letzte Sattelzugmaschine vom Typ Stralis vom Band. Im Gegenzug werden im Donautal die Fertigung von Feuerwehrfahrzeugen konzentriert und das dortige Werk zum „Brandschutz-Kompetenzzentrum“ ausgebaut. Gleichzeitig trennt sich das Unternehmen von der Produktionsstätte im südbadischen Weisweil und verkauft das Werk im sächsischen Görlitz. Die Magirus GmbH übernimmt den Geschäftsbereich Brandschutztechnik als eigenständiges Unternehmen unter dem Dach des CNH Industrial Konzerns (Amsterdam/London). Seit Anfang 2022 ist Magirus Teil der italienischen Iveco Group, die aus dem CNH Industrial Konzern ausgegliedert wurde. Erneut muss sich die Belegschaft auf tiefgreifende Veränderungen einstellen: Anfang 2025 übernimmt die Mutares SE u. Co. KGaA aus München, ein internationaler Finanzinvestor, das Ulmer Traditionsunternehmen. (Redaktion: kfv-herford.de)
-Vo-
Die stilisierte Silhouette des Ulmer Münsters war einst das Markenzeichen der LKW von Magirus-Deutz. (Foto: J. Vogelsang)
Hinweis: Der KFV Herford benötigt ständig interessante Fahrzeugfotos der Feuerwehr und übrigen Hilfsorganisationen zur Aktualisierung seiner Internetseite. Bildzusendungen unter Nennung des Urhebers an: