Zeppelinstraße gleicht einem Trümmerfeld

Rettungsdienst und Feuerwehr proben Zusammenarbeit

DSC 1819Herford. Die Auszubildenden des Rettungsdienstes und der Feuerwehr waren am Samstag (29.04.2023) gemeinsam im Übungseinsatz. Auf der abgesperrten Zeppelinstraße im Gewerbegebiet Herford-Diebrock hatten sich gleich drei „schwere Verkehrsunfälle“ ereignet. In den Unfallautos warteten mehrere Insassen, die von Statisten gespielt wurden, auf Hilfe. Ihre vorgetäuschten Verletzungen aus Theaterschminke und Kunstblut unterstrichen den Ernst der Lage. Die Szenerie wirkte so realistisch, dass Passanten erschrocken stehen blieben. Übungsleiter Matthias Beckhoff von der Hauptamtlichen Wache Herford erläuterte das Vorgehen der Einsatzkräfte: „Während der Rettungsdienst die medizinische Erstversorgung übernimmt, kümmert sich die Feuerwehr um die technische Rettung der Verletzten aus den deformierten Fahrzeugen.“

Ein LKW hat an einer Steigung seine Ladung verloren. Drei Fahrzeuge können nicht mehr ausweichen und verunglücken schwer. Die Zeppelinstraße gleicht daraufhin einer regelrechten Trümmerlandschaft. Benzingeruch liegt in der Luft, so die beklemmende Situation am Samstagmorgen. Am Gerätehaus Diebrock, das nur einen Steinwurf weit entfernt liegt, haben sich zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Einsatzkräfte versammelt. Darunter befinden sich angehende Notfallsanitäter/innen, die ihre Ausbildung bei den Feuerwehren Bünde und Herford sowie beim Kreis Herford absolvieren. Drei Brandmeister-Anwärter der Hauptamtlichen Wache Herford zählen neben ehrenamtlichen Kräften der Feuerwehr und des DRK zu den weiteren Helfern. Das Zusammenspiel von Rettungsdienst und Feuerwehr steht bei der Übung im Vordergrund. „Es muss bei einem Notfall reibungslos funktionieren“, so Matthias Beckhoff.

 

Leonie Wiebesiek und Christoph Hilling vom Rettungsdienst Bünde behandeln einen „schwerverletzten Mann“.

 

DSC 1822Medizinisches Personal und Feuerwehrleute arbeiten bei der Menschenrettung Hand in Hand zusammen.
(Hinweis: Es handelt sich um einen Statist mit geschminkten Verletzungen.)


DSC 1789Eine Autofahrerin hat sich an der „Wirbelsäule verletzt“. Rettungsdienst und Feuerwehr müssen sehr behutsam vorgehen.
(Hinweis: Es handelt sich um eine Statistin mit geschminkten Verletzungen.)

 

Schematische Beurteilung der Verletzungen

Um kurz nach 10 Uhr läuft der Rettungseinsatz auf Hochtouren. Ein Kleinwagen liegt auf der Seite. Leonie Wiebesiek (23) und Christoph Hilling (21) untersuchen einen Mann, der mit seinem Oberkörper aus dem Seat herausgeschleudert ist. Für die beiden Auszubildenden vom Rettungsdienst Bünde geht es zunächst darum, seine Verletzungen festzustellen und nach Prioritäten zu ordnen. Sie wenden dabei das sogenannte ABCDE-Schema an. Zunächst prüfen sie die Atemwege (A wie Airway), kontrollierten dann nacheinander die Atemfrequenz (B wie Breathing), den Kreislauf (C wie Circulation) und neurologischen Zustand (D wie Disability). Schließlich stellen sie noch fest, ob weitere Verletzungen, wie etwa Knochenbrüche, vorliegen (E wie Exposure). Erfahrene Notfallsanitäter der Feuerwehr Bünde stehen ihnen als Praxisanleiter zur Seite. Unterstützung kommt von der Löschgruppe Herford-Elverdissen. Gruppenführer Ralf Kuhlmann und seine Mannschaft stabilisieren den Seat mit Holzkeilen und einem Abstützsystem. Sie trennen anschließend die Frontscheibe mit einer Glassäge heraus, um eine Zugangsöffnung zu schaffen; denn im Innenraum muss noch eine weitere Person versorgt werden. Sören Ludolf und Lukas Berg, die mit einem zweiten Rettungswagen angerückt sind, übernehmen diese Aufgabe. Gruppenführer Kuhlmann entscheidet schließlich gemeinsam mit dem medizinischen Personal, das Dach mit Hilfe einer hydraulischen Schere abzutrennen, denn eine Rettung durch die Heckklappe kommt nicht in Frage.

 

Stahlträger durchbohrt VW-Polo

In rund 100 Meter Entfernung stehen die Rettungskräfte aus Herford ebenfalls vor einer Herausforderung. Ein Stahlträger hat die Fahrgastzelle eines VW-Polo regelrecht durchbohrt. Die Fahrerin und ihr Beifahrer haben sich dabei schwere Verletzungen zugezogen. Maxine Lindemann, Finja Höfer und Marleen Bitter übernehmen die Erstversorgung. Notarzt Marvin Deslandes, Anästhesist am Klinikum Bielefeld-Mitte, hat die medizinische Einsatzleitung. Die Patienten werden über Zugänge an den Händen mit „Flüssigkeit und Schmerzmittel“ versorgt. „Für die Fahrerin ist die Lage kritisch“, so Praxisanleiter Florian Rabeneck, der die Auszubildenden ständig mit neuen Informationen über das Verletzungsmuster und den angenommenen Gesundheitszustand der Statisten informiert. Eine „kritische Blutung“ stoppen die angehenden Notfallsanitäterinnen mit dem sogenannten Tourniquet, einem Knebel, der den arteriellen Blutfluss unterbindet. Doch die „Patientin“ hat zudem „Probleme mit der Atmung“. Lars Ender, Patrick Flachmeier und Pascal Fröhlich, Brandmeister-Anwärter der Feuerwehr Herford, kümmern sich deshalb zunächst um die technische Rettung der Frau. Mit hydraulischem Rettungsgerät entfernen sie zügig Vorder- und Hintertür sowie den B-Holm. Auf diese Weise entstehen auf der Fahrer- und später auf der Beifahrerseite große Befreiungsöffnungen. Zuvor haben sie den Stahlträger, der mittig im Fahrzeug liegt, mit einem Hydraulikzylinder angehoben und mit Unterleghölzern stabilisiert. Schließlich werden beide „Patienten“ mit Fahrtragen zum Rettungswagen transportiert.

An der dritten Einsatzstelle sind die Auszubildenden der Rettungswachen des Kreises Herford und die Löschgruppe Herford-Diebrock gemeinsam im Übungseinsatz. Sie gehen besonders behutsam vor; denn die Fahrerin des Fiat-Cinquecento hat sich an der „Wirbelsäule verletzt“. Nachdem das Dach mit Hydraulikwerkzeug abgetrennt ist, wird die Statistin auf einem Rettungsbrett (Spineboard) achsengerecht über den Kofferraum aus dem Fahrzeugwrack getragen.

Nach gut zwei Stunden ist die Übung beendet. Wehrführer Karsten Buschmann, Lutz Kölling, Leiter der Hauptamtlichen Wache, und Notarzt Marco Kauling (Klinikum Herford), die alles genau beobachtet haben, zeigen sich zufrieden. „Die Erkenntnisse werden in die weitere Ausbildung einfließen“, sagt Übungsleiter Matthias Beckhoff. Einen besonderen Dank richtet die Feuerwehrführung an Annika Nitschke und ihr Team für realistische Unfall- und Notfalldarstellung des DRK-Kreisverbandes Herford Stadt sowie das Unternehmen Wellteam, das die Vorbereitung der Übung unterstützt hat.

                                                                                                                       Von Jens Vogelsang

                                                                                                                      (Text u. Fotos)

 

DSC 1685Rettungsdienst und Feuerwehr stehen am Gerätehaus Herford-Diebrock bereit.

 

DSC 1692Kurze Lageeinweisung durch die Feuerwehrführung: (v.l.) Matthias Beckhoff, Lutz Kölling u. Marco Sickmann.

 

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DSC 1705Die Situation ist beklemmend: Ein Kleinwagen ist auf die Seite gekippt. Im Innenraum liegt ein „verletzter Mann“, der auf Hilfe wartet.
(Hinweis: Es handelt sich um einen Statist mit geschminkten Verletzungen.)

 

DSC 1712Einsatzkräfte von der Löschgruppe Herford-Elverdissen stabilisieren das Fahrzeugwrack.

 

DSC 1717Die Frontscheibe wird mit Hilfe einer Glassäge herausgetrennt.

 

DSC 1725Kristian Piechulek (l) steht den Auszubildenden als Praxisanleiter zur Seite.

 

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DSC 1718Geräteablage

 

DSC 1727Das hydraulische Rettungsgerät wird vorbereitet.

 

DSC 1777Ein Stahlträger hat den Innenraum eines VW-Polo durchbohrt. Rettungsdienst und Feuerwehr sind gemeinsam gefordert.

 

DSC 1760ohne (Hinweis: Es handelt sich um einen Statist mit geschminkten Verletzungen.)

 

DSC 1770Für die Fahrerin besteht „Lebensgefahr“.

 

DSC 1771Der Angriffstrupp entfernt Türen und B-Säule, …

 

DSC 1772… sodass eine große Befreiungsöffnung entsteht.

 

DSC 1817(v.l.) Praxisanleiter Florian Rabeneck, Notarzt Marvin Deslandes (Klinikum Bielefeld-Mitte) u. Notarzt Marco Kauling (Klinikum Herford).

 

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DSC 1758(v.l.) Matthias Beckhoff (Übungsleiter), Lutz Kölling (Leiter Hauptamtliche Wache), Patrick Flachmeier (Brandmeister-Anwärter) u. Lars Ender (Brandmeister-Anwärter).

 

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DSC 1786Einsatzkräfte der Löschgruppe Herford-Diebrock haben das Dach des Fiat-Cinquecento abgetrennt, um eine große Befreiungsöffnung zu schaffen.

 

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Die Halswirbelsäule wird mittels Stifneck stabilisiert.

 

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DSC 1802Auf einer Fahrtrage geht es für die „Patientin“ zum Rettungswagen.

 

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DSC 1826Teleskopmast 42 der Betriebsfeuerwehr Wellteam.