Fukushima sechs Jahre danach: Ein Ende der Katastrophe ist nicht abzusehen

Der Kreis Herford befindet sich in der Außenzone des Atomkraftwerks Grohnde.

Atomare Gefahr kfv herford gFukushima/Düsseldorf/Kreis Herford. Am 11. März jährt sich die Atom-Katastrophe im japanischen Fukushima zum sechsten Mal. Vor Ort kämpfen die Experten noch immer mit gewaltigen Problemen. Wohin mit dem verseuchten Erdboden und vor allem dem kontaminierten Kühlwasser? Mensch und Technik scheinen an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Hierzulande wächst die Sorge, dass es im belgischen Pannen-Reaktor Tihange zu einem ähnlichen Super-GAU kommen könnte. Der Kreis Herford liegt zudem in der sogenannten Außenzone des Atomkraftwerks Grohnde an der Weser (Landkreis Hameln-Pyrmont). Dort war es in jüngster Zeit immer wieder zu Pannen gekommen. Der Kreis Herford hat vorsorglich Jodtabletten eingelagert. Die sollen verhindern, dass sich Radioaktivität in der Schilddrüse anreichert.

Um 14.46 Uhr Ortszeit nahm die Katastrophe, deren Folgen auch sechs Jahre später noch immer nicht abzusehen sind, ihren Anfang. Zu diesem Zeitpunkt erschütterte ein schweres Seebeben die Region vor der japanischen Ostküste. Eine 13-Meter hohe Monster-Flutwelle traf mit voller Wucht auf die Präfektur Fukushima („Glücksinsel“), riss mehr als 18.000 Menschen in den Tod und verwüstete einen ganzen Landstrich. Das Atomkraftwerk (AKW) Fukushima-Daiichi war den apokalyptischen Naturgewalten ebenso schutzlos ausgeliefert. Stromversorgung und Kühlung aller Reaktoren fielen unter den hereinströmenden Wassermassen aus. Trotz Schnellabschaltung scheiterten alle Versuche, die Reaktoren eins bis drei ausreichend zu kühlen. In allen drei Blöcken kam es zur Kernschmelze. Der Super-GAU führte zu einer radioaktiven Wolke, die dank Ostwind zum Großteil über den Pazifik abzog. Experten schätzten, dass die Umgebungsluft des Kraftwerks im Billiarden-Becquerel-Bereich mit radioaktivem Cäsium und Jod belastet wurde. (Die Einheit Becquerel gibt die Aktivität der Atomkerne an, die pro Sekunde radioaktiv zerfallen.) Hunderte Feuerwehrleute des Tokyo-Fire-Deparments, darunter die Mitglieder ihrer Eliteeinheit „Hyper Rescue“ wurden abkommandiert, um die Helfer vor Ort zu unterstützen. Meerwasser war für sie das erste Mittel zur Kühlung der Reaktoren. Rund 200.000 Japaner verloren durch die Atomkatastrophe ihr Hab und Gut. Sie mussten oftmals binnen weniger Stunden ihre Heimat verlassen. Wäre die Sperrzone von 20 auf 80 Kilometer erweitert worden, so wie es die US-Atomaufsicht nach Drohnen-Messungen gefordert hatte, wären rund zwei Millionen Menschen betroffen gewesen.

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11. März 2011, 14.46 Uhr: Eine unbeschreibliche Flutwelle trifft auf die japanische Ostküste und
reißt mehr als 18.000 Menschen in den Tod. (Foto: Warren Antiola/ Sadatsugu Tomizawa on Flickr)

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Im AKW Fukushima-Daiichi kommt es zum Super-GAU. Eine radioaktive Wolke
kontaminiert eine ganze Region. (Foto: IAEA Imagebank, Mike Weightman on Flickr).

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Tausende Helfer, darunter Feuerwehrleute aus der Hauptstadt Tokio,
werden zum Unglückreaktor abkommandiert. (Foto: Guwashi999 on Flickr)

Zurück nach Iitate?

Sechs Jahre nach der Katastrophe leben viele Menschen weiterhin in Notunterkünften und provisorischen Containersiedlungen. Ihre sozialen Kontakte sind oftmals abgerissen. Die Ungewissheit hat viele von ihnen zermürbt. Psychische Erkrankungen sind an der Tagesordnung. Währenddessen sind in der Präfektur Fukushima weiterhin Dekontaminierungstrupps im Einsatz. In akribischer Sisyphusarbeit und mit japanischer Disziplin tragen sie in Grünanlagen und Gärten, auf Wiesen und Äckern die oberen Erdschichten ab und verpacken sie in Big-Packs. Was mit den schwarzen „XXL-Müllsäcken“ passieren soll, die sich auf den inzwischen 16.000 Lagerplätzen angesammelt haben, weiß bislang offenbar noch niemand. Um den Erfolg der Dekontaminationsarbeiten zu dokumentieren und die Bevölkerung zu beruhigen, hat die Regierung überall Strahlenmessstationen mit großen Leuchtanzeigen aufgestellt. Sie stehen allerdings an Stellen, die zuvor großflächig abgetragen und mit einem Betonfundament abgedeckt wurden. „Dass deren Anzeigen mit der Realität wenig zu tun haben, ist inzwischen ein offenes Geheimnis“, heißt es vom Verein Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. Im Dorf Iitate, rund 40 Kilometer vom AKW entfernt, sind die Dekontaminationsmaßnahmen mittlerweile weit vorangeschritten. Alles sei sicher, sagt die Regierung und bittet die 6.000 Einwohner zurückzukehren. Doch viele Japaner, die als stolz und leidensfähig gelten, wollen nicht mehr. Sie haben Angst um ihre Gesundheit und vor allem um die ihrer Kinder. An vielen Stellen in Iitate soll die Strahlung noch immer um das Sechsfache über dem staatlichen Grenzwert liegen.

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Checkpoint Minamisoma in der Präfektur Fukushima: Die Kreisstadt liegt 25 Kilometer vom Reaktor entfernt.
Rund 1.800 Häuser wurden dort zerstört. Große Teile des Stadtgebietes sind nach wie vor unbewohnbar. (Foto: Warren Antiola on Flickr)

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An vielen Stellen türmen sich die Müllsäcke. Darin befindet sich verstrahltes Erdreich, das von den
Dekontaminationseinheiten abgetragen wurde. (Global 2000, Lydia Matzka-Saboi on Flickr)


300.000 Kinder stehen unter ärztlicher Beobachtung

Das verstrahlte Kühlwasser bereitet den Technikern ein wohl noch größeres Problem. Es dringt nach wie vor aus den zerstörten Druckbehältern ins Grundwasser. Es wird abgepumpt, soweit nach dem Stand der Technik möglich von radioaktiven Stoffen gereinigt und anschließend ins Meer gepumpt. Problem: Durch den sinkenden Grundwasserspiegel strömt mehr kontaminiertes Wasser aus den Reaktoren nach, und mittlerweile wird die Lagerkapazität auf dem Kraftwerksgelände knapp. Betreiber Tepco (Tokyo-Electric-Power-Company) weiß noch immer nicht, wo die geschmolzene, hochradioaktive Kernmasse genau liegt. Um sich einen Überblick zu verschaffen setzt das Unternehmen ferngesteuerte Roboter ein. Aufgrund der hohen Strahlungsbelastung fallen die Geräte immer wieder aus. Die Folgen der Katastrophe sind noch immer nicht absehbar.
Der Verein Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs spricht von einem besorgniserregenden Anstieg der Schilddrüsenkrebsrate bei Kindern. Bis Herbst 2015 hätten bereits 115 Kinder wegen Krebsgeschwüren in ihren Schilddrüsen operiert werden müssen. 300.000 Sprösslinge stehen deshalb unter ärztlicher Beobachtung. Über das Schicksal der Feuerwehrleute aus Tokio und der vielen weiteren Helfer der ersten Stunde ist nur wenig bekannt.

100-prozentige Sicherheit gibt es auch in Deutschland nicht

Einen atomaren Super-GAU können Experten auch in Deutschland trotz seiner hohen Sicherheitsstandards nicht ausschließen. Noch immer sind acht Reaktoren am Netz. Die sechs größten müssen laut Atomgesetz erst 2022 stillgelegt werden. In jedem von ihnen kann es durch Unwetter, Kurzschlüsse, Materialschwäche, Fehlbedienungen, Computerviren, Cyberattacken, Flugzeugabstürzen oder Terroranschlägen zu einem schweren Unfall kommen. Die radioaktive Strahlung macht im Übrigen vor Landesgrenzen nicht halt. Besonders groß ist die Angst der Menschen in der Dreiländer-Region rund um Aachen vor einem GAU im belgischen Pannen-Reaktor Tihange. Das Land NRW hatte deshalb vorsorglich 21 Millionen Jodtabletten bestellt. Die sind für Schwangere, Kinder unter Erwachsene bis 45 Jahren vorgesehen. Menschen über 45 Jahren raten Mediziner davon ab, das Mittel einzunehmen. Mit zunehmendem Alter könne das Jod eine Schilddrüsenüberfunktion auslösen.
Nach der Katastrophe von Fukushima sah sich die Politik zum Handeln gezwungen. So beschlossen die Innenminister auf Empfehlung der Strahlenschutzkommission im Juni 2014, die Evakuierungszonen rund um die AKW von zehn auf 20 Kilometer zu erweitern. Der Kreis Herford befindet sich nun in der Außenzone des Kraftwerks Grohnde. Das befindet sich im Landkreis Hameln-Pyrmont an der Weser, etwa 80 Kilometer vom Kreisgebiet entfernt. Im Ernstfall wird die Bevölkerung im Wittekindsland mit Sirenen gewarnt. Die Feuerwehr führt dann Messungen „zur Ermittlung und Überwachung der radiologischen Lage“ durch und errichtet einen Dekontaminationsplatz. Der ABC-Zug der Feuerwehr Herford (ABC steht für atomare, biologische und chemische Gefahren) verfügt dazu über einen Gerätewagen Messtechnik (GW-Mess), ein ABC-Erkundungsfahrzeug (ABC-Erkunder), ein Trägerfahrzeug mit Abrollbehälter für die Verletzten-Dekontamination (WLF AB-DekonV) und einen Gerätewagen für die Personen-Dekontamination (GW Dekon-P). Die Kreisverwaltung verweist auf das Überörtliche Hilfekonzept des Landes NRW (Ü-Mess-Konzept NRW). Das sehe unter anderem vor, dass im Ernstfall zusätzliche Messfahrzeuge aus nicht betroffenen Regionen entsandt werden. Sollte es im AKW Grohnde tatsächlich zu einem Störfall kommen und eine radioaktive Wolke über das Kreisgebiet hinweg ziehen, liegen für 130.000 Menschen Jodtabletten bereit. Weitere Vorkehrungen, wie etwa für Evakuierungen, seien nach Auskunft der Kreisverwaltung nur für Teilgebiete der Kreise Höxter, Lippe und Steinfurt erforderlich.

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Wechselladerfahrzeug mit Abrollbehälter für die Verletzten-Dekontamination (WLF AB-DekonV)
des ABC-Zugs Herford. (Foto: Archiv Redaktion: kfv-herford.de)

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Im Ernstfall führt die Feuerwehr Messungen zur Ermittlung und Überwachung
der radiologischen Lage durch. (Foto: Archiv Redaktion: kfv-herford.de)

PreussenElektra: „Alle Ereignisse waren von geringer sicherheitstechnischer Bedeutung!“

Der Meiler im Landkreis Hameln-Pyrmont musste zuletzt Ende Juli 2016 wegen eines Lecks an einer Schweißnaht vom Netz genommen werden. Bereits im April war die Anlage wegen eines Kühl-Pumpen-Schadens heruntergefahren worden. Die Revisionsarbeiten hatten sich drauf hin von zwei auf zehn Wochen verlängert. Betreiber PreussenElektra weist darauf hin, dass es sich ausnahmslos um Ereignisse von geringer sicherheitstechnischer Bedeutung gehandelt habe. Das Kraftwerk läuft seit 1984. Es soll Ende 2021 endgültig vom Netz gehen. Die Werkfeuerwehr PreussenElektra verfügt am Standort Grohnde über zwei Staffellöschfahrzeuge 10/6 (StLF 10/6)
(Redaktion: kfv-herford.de)

-Vo-

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Das AKW Grohnde liegt etwa 80 Kilometer entfernt im Landkreis Hameln-Pyrmont.
Ende 2021 verliert es seine Betriebsgenehmigung und muss stillgelegt werden. (Foto: Axel Hindemith, Wikipedia)